Langsam gewöhnen sich meine Augen an das Halbdunkel in Mwanaishas Haus. Durch den Spalt zwischen Lehmmauer und Bambustür fallen ein paar Strahlen Abendsonne hinein. Winzige Staubpartikel tanzen im Schein. Auch durch das Strohdach über uns dringt an mehreren Stellen Licht. Ich versuche mir vorzustellen, in der Regenzeit darunter zu wohnen.
In Mwanaishas Stube kann man mit ausgestreckten Armen fast gegenüberliegende Wände berühren. Wir haben kaum alle Platz: Lucy, Joyce, Luisa, Marlène, Sarina und ich – Besucher aus einer anderen Welt – dazu Gito, mein langjähriger Vertrauter im Dorf, und Mwanaisha selbst. Meine Begleiterinnen machen grosse Augen. Mwanaishas Einladung in ihr Haus kam so spontan und selbstverständlich, wie sie für uns unerwartet war.
Am Tag nach der Ankunft unserer Trainees am Niassa-See hatten wir uns aufgemacht, um das Dorf zu besuchen. Als wir bei der Wasserpumpe vorbeikamen, sass die alte Witwe am Schatten auf einer Bastmatte. Sie erblickte uns, erhob sich mit steifen Gelenken und kam uns leicht gebückt entgegen. Ihre Augen, schmal und wässrig von einem langen Leben an der blendenden Sonne, blitzten amüsiert ob unserer Besuchsdelegation. “Dschonosan.” So nennt man mich im Dorf. Wo ich denn all die Zeit gesteckt habe?
Nun sehe ich mich in ihrem Haus um. Im Raum befinden sich ihre bescheidenen Besitztümer: Ein paar verbeulte Pfannen, Plastikbecken, wenige Kleider. Alles ist der Wand entlang auf dem dunkeln Lehmboden arrangiert, Möbel hat es keine. Das kleine Fenster ist wie die Tür mit Bambus abgedunkelt. Am Boden hinter dem Durchgang zum zweiten, noch engeren Zimmer erahne ich die Schlafstelle unserer Gastgeberin.
Mwanaisha betrachtet ihre Besucherinnen. Ob ihr bewusst ist, dass sie uns gerade ein unvergessliches Erlebnis beschert? Es ist, als wären wir für einen Moment in ihr Leben eingetaucht – ein Leben, wie es von unseren kaum unterschiedlicher sein könnte. Ich bitte Gito, zu übersetzen, dass wir sehr dankbar sind für die grosszügige Einladung in ihr Zuhause. Sie freut sich, findet aber sichtlich, dass es keine grosse Sache ist.
Ich frage sie, ob sie die Foto-Grüsse noch habe, die wir ihr vor Jahren von ihren Mango-Kunden in der Schweiz gebracht haben. Sofort verschwindet sie im winzigen Nebenraum und taucht wieder auf mit einem verschnürten Reissack. Als sie ihn öffnet, wird mir bewusst, dass er alles enthält, was Mwanaisha an Wertsachen besitzt. Sie wühlt kurz darin, dann zieht sie einen kleinen Stapel Fotos heraus. Die Bilder zeigen froh lachende Menschen jeden Alters. Und alle halten ein Päckli Mangos mit Mwanaishas Portrait hoch.